Sonntag, 24. Februar 2013

Der Schweizer im Zug


Frühmorgens, 7 Uhr, Schweiz.

Die S29 nach Winterthur ist voll mit Pendlern.

Sagt mal, stinke ich?

Sehe ich aus, wie ein gesuchter Verbrecher? Wie die Diamantendiebe etwa?

Verwechseln die mich mit M13? Der ist doch jetzt tot!

Oder habe die anderen Passagiere gestern Knoblauch gegessen und wollen mich nur verschonen?

Jeden Morgen beobachte ich das Phänomen aufs Neue: Die meisten Leute stehen lieber für die halbe Zugfahrt, als dass sie sich direkt neben einen Fremden setzen. Ihr müsst verstehen, unter Umständen Oberschenkel an Oberschenkel neben jemandem zu sitzen, das ist schon sehr intim. Da steht man lieber. Verstehe ich.

Nein, verstehe ich eben genau NICHT! Ich bin unglaublich froh, wenn ich im Pendlerverkehr einen Sitzplatz erhasche und bin mir auch nicht zu fein, mich zwischen zwei Leute zu setzen oder zu fragen, ob denn „da no frei isch“.

Vielleicht haben mich meine sechs Monate in London auch abgehärtet. Dort gleicht der Zug am Morgen einem Schlachtfeld.

Kommt man in den Zug, dann hat man sicherlich keinen Sitzplatz. Es sei dann, man steigt bei der ersten Station ein. Während der Zugfahrt blicken die stehenden Passagiere immer wieder voller Sehnsucht zu den vollen Sitzplätzen. Nicht nur um zu träumen, im Gegenteil. Man beobachtet die Mitfahrenden um zu eruieren, welcher von ihnen als nächstes wohl aussteigen wird, sodass man sich auf den freien Platz stürzen kann. Serious business.

In der Schweiz läuft das eher so ab:

Herr oder Frau Schweizer betritt den Zug. Okay, kein freies Abteil. Und auch nicht Platz genug, damit zwischen mir und dem Mitreisenden noch ein leerer Platz wäre. Mist. Ich könnte fragen, ob dieser junge Herr seine Tasche vom eigentlich freien Sitz nehmen könnte, oder... nein. Ich glaube, ich stehe lieber.

Und mittendrin sitze ich, schaue zum freien Platz zu meiner Rechten, dann zum leeren Sitz neben der Dame, die gegenüber von mir sitzt, und frage mich, ob wir Schweizer uns mit unserer berühmtberüchtigten Höflichkeit schlussendlich selber schlagen.

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